Lieferperformance

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#7793 by Barbara
Replied by Barbara on topic Re: Lieferperformance
Hallo Florian,
es gibt zwei wichtige statistische Sätze, auf deren Grundlage Shewhart und Wheeler behaupten, die Verteilungsprüfung könne entfallen. Das ist zum einen der Zentrale Grenzwertsatz (ZGWS) bzw. das Central Limit Theorem (CLT) und zum anderen die Camp-Meidell-Ungleichung (CMU). Nach beiden Sätzen sind die Grenzen der QRKs unter gewissen Voraussetzungen leicht berechenbar.
Nur: Diese gewissen Voraussetzungen sind in der Praxis oft nicht gegeben. Beide Theoreme setzen voraus, dass die Variablen einen konstanten und für alle gleichen Erwartungswert und eine konstante und für alle gleiche Varianz haben, d. h. es also insbesondere keinen Mittelwertshift oder eine zeitabhängige Verteilung gibt (könnte beim Lieferantenproblem so sein, bei Maschinendaten ist das durch Verschleißteile sehr viel fragwürdiger). Daneben gibt es noch andere Voraussetzungen wie beispielsweise die Unabhängigkeit der Messwerte voneinander (ZGWS) oder eine eingipflige Verteilung (CMU).
Die reine Normalverteilung gibt es genauso wenig wie jede andere Verteilung. Da aber die Theoreme und Schlussfolgerungen (wie QRK-Grenzen) gegen geringe Abweichungen robust sind, funktioniert das Ganze in der Praxis trotzdem, wenn die Voraussetzungen nicht zu stark verletzt sind.
Und genau an diesem Punkt (was ist eine "zu starke Verletzung"?) ist eine Verteilungsuntersuchung angezeigt, da ich zwar auf Grund von theoretischen Überlegungen die Gültigkeit von QRK-Grenzen annehmen kann, aber eine Untersuchung der tatsächlich erhobenen Werte Sinn macht. Z. B. können Einflüsse übersehen worden sein oder es können über eine längere Zeit doch Trends in den Daten auftauchen, die aber so klein sind, dass sie ohne systematische Untersuchung nicht weiter aufgefallen wären.
Durch das Weglassen der Untersuchung wird Wissen über die Prozesse verschenkt, das nicht nur bei der Prozesskontrolle sondern auch bei der Prozessoptimierung genutzt werden kann.
Eines meiner Lieblingsbeispiele für "das ist normalverteilt" sind die Tsunamis oder Monsterwellen. Meeresbewegungen sind seit Jahrzehnten sehr gut untersucht und wurden als normalverteilt beurteilt. Dummerweise kamen immer wieder Kapitäne, die irgend etwas von 20-30 Meter hohen Wellen erzählten (=Seemannsgarn) oder es verschwanden Schiffe (=Versicherungsbetrug). Denn nach den Regeln der Normalverteilung hätte so eine Monsterwelle nur einmal in 5000 Jahren stattfinden können und nicht dutzendfach jährlich. Die Versicherungen lehnten eine Schadensbegleichung mit der Begründung ab, dass es keine Monsterwellen gäbe.
Durch die zunehmende Elektronik an Bord von Schiffen gab es vor einigen Jahren erstmals Aufnahmen von solchen Monsterwellen - und plötzlich war klar, dass Meereswellen trotz allen Wissens und aller Erfahrung zwar normalverteilt sind, aber eben nicht nur (kontaminierte Normalverteilung).
Heute wird darüber nachgedacht, welche Konsequenzen aus diesem Wissen zu ziehen sind. Sämtliche Ozeanriesen sind gegen kleinere Wellen gesichert, aber Monsterwellen reißen riesige Löcher in die Bordwand oder verschlucken kleinere Schiffe einfach so. Wie viele Schiffe, Ladung und Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn den Seeleuten früher geglaubt worden wäre? Erst die unumstößlichen Videoaufnahmen haben hier ein Umdenken eingeleitet.
Zum Glück geht es in der Produktion meist "nur" um Qualität & Geld und nicht um Menschenleben. Aber können wir uns das wirklich leisten, einfach Potential zu verschenken, weil es irgendwo eine mathematische Theorie gibt? Ich denke nein, zumal eine Verteilungsuntersuchung mit den heutigen PCs und Programmen wenig Ressourcen kostet.
Viele Grüße
Barbara



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  • Florian
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#7814 by Florian
Replied by Florian on topic Re: Lieferperformance
Hallo Barbara
vielen Dank für Deine praxisnahen Ausführungen. Ich kann diesen sogar folgen :-).
Noch eine Frage. Ich bin bemüht möglichst einfache Werkzeuge zu schulen, da doch in der Regel Gruppenleiter oder Abteilungsleiter keine Statistiker sind und sie daher rel. einfach aufgebaut werden sollte. Kann ich mit einem einfachen Histogramm schon genug Aussagen zur Verteilung machen? Oder sind die etwas komplizierteren Tests notwendig? Wir reden immer noch vom Verbesserungsprozess (Deming sagt 100\% sind viel zu teuer und nicht erreichbar, "Wir würden es nicht einmal merken, wenn wir das Optimum hätten!"), also vom Erkennen von Signalen und deren Beseitigung.
Danke für die Diskussion.
Es Grüessli
Florian


qm-online.ch

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#7817 by Barbara
Replied by Barbara on topic Re: Lieferperformance
Hallo Florian,
die Wahl der Analysewerkzeuge ist sicherlich abhängig von den Vorkenntnissen und Fähigkeiten der Beteiligten. Natürlich muss die Anwendung dann wieder so einfach sein, dass alle, die eine QRK führen, Abweichungen feststellen können.
Bei der Verteilungsanalyse gibt es verschiedene Tools, die Sinn machen. Eins alleine ist sicherlich zu wenig. Ein Histogramm liefert zwar einen ersten Eindruck, ist aber sehr stark von der Wahl der Balkenbreite abhängig und kann dadurch eine falsche Verteilungs-Entscheidung begünstigen. Insofern zeichne ich daneben auf jeden Fall eine geschätzte Normalverteilungsdichte zusätzlich ins Histogramm ein. Weitere informative und leicht anzugebende Grafiken sind Wahrscheinlichkeitsnetze und Boxplots.
Dann gibt es noch diverse Kennzahlen für die Normalverteilung, die aus den Daten berechnet werden und mit den wenn-Normalverteilung-vorliegt-Kennzahlen verglichen werden, einfach rein deskriptiv, ohne einen Test anzuwenden.
Tests auf Normalverteilung oder andere Verteilungen machen Sinn, wobei es leider nicht den besten Test gibt, so dass hier eine Auswahl aus möglichen Tests getroffen werden muss. Das ist nichts für Menschen ohne statistische Vorbildung, weil die Testtheorie zumindest in Grundzügen vermittelt werden muss, um einen guten Test auswählen zu können. Die Durchführung ist mit entsprechender Software-Unterstützung dann wieder einfach, genauso die Interpretation, wenn p-Werte miteinander verglichen werden (dieses p hat nichts mit einem Anteil zu tun, mehr dazu gibt es hier:
www.bb-sbl.de/tutorial/statistischetests/statistischetests.html )
Daneben sollten selbstverständlich immer auch praktische Überlegungen für die Wahl der besten Verteilung herangezogen werden (z. B. wenn ich schon weiß, dass die Messwerte schief verteilt sind oder eine Lebensdauer-Werte habe, etc.)
Zwei Beispiele für die Überprüfung der Normalverteilung findest Du hier:
www.bb-sbl.de/tutorial/verteilungen/uebe...ormalverteilung.html
Gerade beim zweiten Beispiel ist das Histogramm zwar nicht besonders gut, würde aber als alleinige Entscheidungsbasis die Normalverteilung durchaus noch akzeptieren.
Als Statistikerin verwende ich gerne empirische Dichteschätzungen mit Kernschätzern, weil die wesentlich informativer als Histogramme sind. Die Theorie dahinter ist aber ziemlich komplex, so dass das nichts für statistisch ungeschulte Mitarbeiter ist. Der Vorteil von empirischen Dichteschätzungen liegt darin, dass eben keine Verteilungsannahme vorgegeben wird, sondern eine Dichte aus den Daten berechnet wird. Da zeigen sich dann wesentlich deutlicher schiefe Verteilungen oder bimodale (zwei-höckrige) Dichten. Solche Berechnungen hab ich allerdings in noch keinem Qualitäts-Softwareprogramm gesehen, dafür braucht es schon ein richtiges Statistik-Programm. Und eine empirische Dichteschätzung ist auch nichts, was ich einer Firma mal eben so empfehlen würde ;-)
Langer Rede, kurzer Sinn:
Histogramm alleine reicht nicht, besser ist Histogramm, Wahrscheinlichkeitsnetz und Boxplot als grafische Tools, daneben ein Vergleich der Verteilungskennzahlen mit den Kennzahlen aus den Daten und Verteilungstests. Natürlich müssen bei einer Anwendung / Schulung die Vorkenntnisse berücksichtigt werden.
Viele Grüße
Barbara




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#9159 by bastlerfreund
Replied by bastlerfreund on topic Re: Lieferperformance
Hallo Florian,
habe die selbe aufgabe wie Michael sie damals hatte und würde mich freuen, wenn Du mir ebenfalls das Exceltool zur Lieferperformance zusenden würdest!
Besten Gruss,
Axel



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  • Jeanette
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#20474 by Jeanette
Replied by Jeanette on topic Aw: Re: Lieferperformance
Hey Florian,

bin in der gleichen Situation und würde mich auch über die Zusendung des Exceltools zur Lieferperformance freuen! (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) :cheer:

Ganz lieben Gruß,

Jeanette

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  • AW
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#20476 by AW
Replied by AW on topic Aw: Lieferperformance
Das stimmt!

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