Reklamationsmanagement
- Wolfgang Horn
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#2087
by Wolfgang Horn
Reklamationsmanagement was created by Wolfgang Horn
Hallo, Herbert,
was Sie gerade durchmachen, das beobachte ich in mehreren Krankenhäusern und in der Altenpflege.
Vermute ich richtig, daß nicht nur die Qualität der Pflegearbeit ausgewertet wird, sondern auch die Effizienz?
Und daß Ihre Aufgabe zusätzlich zur strukturierten Patientenbefragung eingerichtet wurde?
Wer immer auch die Idee mit dem zentralen Reklamationsmanagement hatte, er hat falsche Übertragungen vorgenommen und die Nebenwirkungen übersehen oder ignoriert.
Die falsche Übertragung: Patienten sind keine Motorblöcke.
Ihr Wohlgefühl, zumindest nach ihrer Genesung in ihrem Rückblick, hängt entscheidend ab vom Verhältnis zwischen ihnen und den Schwestern und Pflegern, die sie täglich betreuen.
Diese Abhängigkeit ist bei Motorblöcken noch nicht beobachtet worden.
Deshalb sind die Nebenwirkungen geringer, wenn an Motorblöcke Handzettel verteilt werden sollten, deren bloße Existenz dem Motorblock beweisen, in dieser Fertigung gibt es
1. Qualitätsprobleme, die so schwerwiegend sind, daß man die Mitwirkung der Motorblöcke braucht, um sie in den Griff zu bekommen.
2. Man mißtraut den Arbeitern am Fließband, denn würde man ihnen vertrauen, könnte man sie ja auch selbst fragen, wo es Ärger gibt oder Verbesserungspotential.
3. Man mißtraut den Führungskräften der Arbeiter, denn die sollten die Arbeit ja eigentlich beobachten und selber merken, ob da alles gut genug läuft. Denn würde man den Führungskräften vertrauen, bräuchte man die ja nur zu fragen, ob Motorblöcke vielleicht protestiert hätten oder andere Anzeichen gezeigt von Unwohlsein.
4. Die Arbeiter am Fließband sind sauer wegen der Kontrolle und behandeln mich, den Motorblock, deswegen nicht natürlich, sondern ständig mit Blick auf meinen Reklamationszettel.
Was wäre, wenn Sie bei Ihrem Lieblings-Friseur in der "Warteschleife" sitzen, da sind der Meister und seine Gesellen, und plötzlich kommt ein Fremder im schicken Anzug kurz vorbei und händigt Ihnen einen Handzettel aus, ob sie mit der Frisur auch wirklich zufrieden sind, und welche Reklamationen sie haben könnten.
Damit wird Ihnen bewiesen, beim Friseur wurde bereits mangelhafte Arbeit beobachtet, und die wolle man nun in den Griff bekommen. "Ja, natürlich", werden sie dann denken, "stimmt, beim letzten Mal mit dem einen Haarwirbel, das hätte er vielleicht wirklich besser machen können, und daß es manchmal so zwickt - stimmt, so gut ist der Friseur gar nicht, wie ich immer dachte." Und wie das nun geweckte Mißtrauen aus genügend Mücken genügend viele Elefanten gemacht hat, kommt die Frage: "Zu wem könnte ich denn noch gehen?"
In Dienstleistungen ist die Phantasie sehr wichtig, man könnte auch herzloser sagen, der Wunschgedanke oder die Illusion: "Mein Friseur ist der Beste, der wird's schon machen."
An die Stelle dieses für Friseur und Krankenhaus nützlichen Wunschgedankens Beweise zu setzen, der Friseur oder Pfleger müsse seiner Fehler wegen kontrolliert werden, das ist selbst ein kapitaler Fehler und beeinträchtigt die Qualität wohl mehr, als es sie steigern könnte.
Aus diesen zwischenmenschlichen Zusammenhängen heraus wage ich die Prognose, Reklamationsmanagement im Krankenhaus wird früher oder später als Modetorheit erkannt sein und wieder verschwinden.
Vielleicht irre ich mich ja auch, und Patienten lassen sich eben doch wie Motorblöcke behandeln.
Nun sitzen Sie, Herbert, aber in der dummen Situation, das Reklamationsmanagement zum Erfolg führen zu müssen.
Sie sitzen zwischen mehreren Mühlsteinen:
1. Ihr Chef, oder wer immer Ihnen den Auftrag gegeben hat, erwartet von Ihnen Erfolg. Und ja keine Kritik. Führungskräfte in unserem Lande der Dichter, Denker, Prinzipienreiter, Besserwisser und Bürokraten jedenfall machen prinzipiell keine Fehler, das könnte in der Schweiz ähnlich sein.
2. Die Pfleger und Ärzte "am Fließband" werden in Ihnen das Symbol des Mißtrauens gegen sich sehen. Dann läge es nahe, daß Sie zunächst immer auf Ablehnung stoßen, wo jemand, der als Unterstützer gesehen wird, Toleranz erlebt.
3. Die Führungskräfte werden Ihre Tätigkeit als Eingriff sehen in ihren Verantwortungsbereich. Auch von denen dürften Sie nur Ablehnung erwarten.
Der Pflegedienst ist im Konflikt - einerseits hat er die Krankenhausleitung zu unterstützen, andererseits hält er Ihre Aufgabe für falsch und lehnt sie ab und Sie daher auch.
Daher ist mit "subversiven" Maßnahmen gegen Sie zu rechnen. Verschleppungstaktik, Dienst nach Vorschrift, "Soldat Schweijk"-Verhalten, und wo Sie im Dschungel der geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze einen Fehler machen, wird man Sie anschwärzen wollen.
An und für sich haben Sie eine Aufgabe, die man keinem langjährigen Kollegen und Freund zumuten würde, sondern am besten einem Unternehmensberater, der sowieso bald wieder weg ist, und der für seinen Streß auch gut bezahlt wird.
Trotzdem müssen Sie Erfolg haben.
Aufgrund dieser Umstände vermute ich, Herbert, Sie sind noch recht jung im Geschäft. Dann ist wohl der richtige Zeitpunkt, die Frage nach dem "wahren Ziel" zu stellen. Was will Ihr Chef (oder dessen) mehr als alles andere in dieser Sache? Zufriedene Patienten? Diejenige Person des Krankenhausträgers besänftigen, die ihn immer gemahnt hat: "Sie müssen ein Reklamationsmanagement einführen!"? Munition für den Kampf gegen die Pfleger und Ärtze wegen deren Schlamperei? Will er nur schlicht weniger Erstreklamationen? Wer ist ihm wichtiger - die Patienten oder die einweisenden Ärzte? Oder die Weiterempfehlung des Krankenhauses durch Patienten oder Ärzte?
Ich empfehle ihnen, im Rahmen der wörtlichen Weisungen dies "wahre Ziel" als Hauptziel anzustreben. Es sei denn, er korrigiert sie.
Ich greife mit willkürlich die Alternative heraus, der Krankenhausträger habe sich von einem Unternehmensberater beraten lassen, und der hat die Einführung eines Reklamemanagements empfohlen, weil das bei der Motorblockfabrik auch so gut funktioniert hat.
Wäre meine Vermutung falsch, sind alle folgenden Worte Makulatur. Aber ohne Vermutung könnte ich gar keinen Lösungsanstz anbieten.
Die Übertragung des Reklamationsmanagements von Motorblöcken und den zugehörigen ewigmäkelnden Großkunden auf Patienten ist nach obigen zwischenmenschlichen Zusammenhängen schädlich für das Geschäft und daher falsch.
Nicht alles, was die Produktivität in der Fertigung von Motorblöcken steigert, funktioniert auch im Krankenhaus.
Herbert, in dieser Situation sehe ich zwei Lösungswege für Sie.
Zuerst aber, was Sie auf gar keinen Fall tun dürfen: Illoyalität oder gar Rebellion. Wahrscheinlich haben obige zwischenmenschliche Zusammenhänge Ihren "gesunden Menschenverstand" und Ihre Skrupel bestätigt, und zu Recht könnten Sie sauer sein auf Ihren Chef, daß er Ihnen diese Aufgabe gegeben hat. Aber deswegen dürfen Sie nicht aus der Rolle fallen.
Sie streben ja gewiß ein fernes, persönliches Ziel an, und dazu brauchen Sie einen guten Ruf. Insbesondere bei Ihren zukünftigen Chefs. Sie müssen denen schon jetzt zeigen, Sie sind ein guter, braver Mitarbeiter, der seinen Chef unterstützt und dessen Vertrauen verdient hat. Der deswegen kein Jasager oder gar Kapo ist, sondern der auch im Geiste des Alten Fritz handelt, der mal sagte: "Ich habe ihn zum General gemacht, damit er weiß, wann er mir zu widersprechen hat."
Vor diesem Hintergrund sehe ich nun zwei Strategien:
1. Strategie "edler, loyaler, braver Ritter": Sie boxen sich durch, spielen den "edlen Ritter im Namen seines Fürsten" und empfehlen sich so auch für ähnliche Aufgaben. (Ja, in den Betrieben sehe ich den Feudalismus vorherrschend, und dann darf man ihn nicht ablehnen, sondern muß ihn so nehmen, wie er ist, und das Beste draus machen.)
Ihr Chef hat Ihnen einen Auftrag gegeben, Sie planen die zwischenmenschlichen Zusammenhänge ein, wie Sie den Widerstand überwinden könnten, und fordern alle Ressourcen von ihm, die Sie brauchen für Ihren Erfolg. Das heißt, Sie "walzen die Widerstände" hinweg. Wer Widerstand leistet, wird mit Gesichtsverlust und Weiterbildungsseminar bestraft. ("Ihnen mangelt es an Toleranz. Gehen Sie zu einem Toleranzseminar!" .) Möglicherweise wird Ihr Chef nach dem Aufzeigen der zwischenmenschlichen Zusammenhänge um etwas Bedenkzeit bitten, die Maßnahme verschleppen oder unter selben Namen einen anderen Inhalt geben wollen.
Pflegepersonal und Ärzte werden Ihnen dann bald einen Ruf geben, der es Ihnen schwermacht, Vertrauen und Miteinander zu gewinnen, der es der Klinikleitung aber leicht macht, Sie mit Kontrollaufgaben zu betrauen.
2. Strategie "kluger, loyaler, weitblickender und mitdenkender Mitarbeiter, der nicht nur bloß tut, was ihm gesagt wurde, sondern dabei auch die höheren Ziele seines Chefs im Auge hat." Sie betrachten die Nebenwirkungen infolge der zwischenmenschlichen Zusammenhänge und stellen heraus, Ihre Chefs wurden wohl falsch beraten. Sie suchen den Sündenbock außerhalb des Krankenhauses. Vielleicht in Person des Unternehmensberaters, der erst die Motorblockfabrik beraten hat und die Erfolgsrezepte von dort einfach auch auf Krankenhäuser übertrug. Vielleicht haben Sie Glück, und dieser Unternehmensberater war gar nicht von der Krankenhausleitung beauftragt, sondern vom Krankenhausträger - dann hätten Sie sogar Chancen, zum Helden aller Pfleger, Ärzte und Klinikleitung zu werden. (Was aber auch seine Nebenwirkungen hat - mancher Held freut sich, wie man ihn auf Händen trägt, bis er merkt, daß man ihn, den David, zu Goliath getragen hat und er nun eine Hauptrolle spielt im alles entscheidenden Zweikampf.)
Nachdem Sie auf den Sündenbock gezeigt haben, handeln Sie nun im Miteinander: "Neue Erkenntnisse, neue Situation, was können wir denn alle miteinander tun, damit die Interessen des Krankenhausträgers erfüllt werden?" Tragen Sie erst mal diese Frage sicht- und hörbar mit sich herum, sammeln Sie Antworten, und wenn viele schon selber nachgedacht haben, dann könnte ein Workshop mit Vertretern aller Gruppen nützlich sein.
Und dazu gehört sicherlich, daß Ihr Krankenhaus überdurchschnittliche Ergebnisse bringt. Was nur funktionieren kann, wenn Ihre Patienten gut über Sie sprechen: "Da hat es mir gefallen, gehen sie mal auch dorthin".
Für den Fall 2 brauchen Sie ein besseres Konzept.
Nach obigen Zusammenhängen sollte dies:
1. Die Weiterempfehlung der Patienten für wichtiger nehmen als alles andere - bis auf Zukunft und Wachstum des Krankenhauses und all seiner Arbeitsplätze. Die Weiterempfehlung kann eher die Empfehlung sein: "Das Krankenhaus ist zwar kein 5-Sterne-Hotel, und die Schwestern stammen auch nicht alle aus dem Playboy, und wenn sie Streß haben, dann sind sie auch mal kurz angebunden, kann man ja verstehen. Aber tüchtig sind sie. Da ist man gut aufgehoben." Ihr "Marketing" wird schon herausgefunden haben, welche Art von Weiterempfehlung für Ihr Krankenhaus die richtige ist. (Sofern Ihr Marketing nicht von dem Unternehmensberater vorgegeben wurde, der gerade von der Motorblockfabrik kam.)
2. Die positive Grundeinstellung der Patienten (oder eben der Wunschgedanke: "Hier bin ich im besten Krankenhaus bei den besten Ärzten und Schwestern, und die arbeiten gern und gut miteinander zusammen") von Anfang an bestärken - und folglich *alles* unterlassen, was diese Grundeinstellung gefährden könnte - wobei Unaufrichtigkeit höchst schädlich sein kann.
3. In diesem Sinne die Patienten erfahren lassen, dem Pflegepersonal werde vertraut, man habe das beste Personal, das man habe, und die täten schon, was sie auch erwarten würden, wenn sie selbst Patienten wären.
4. Patienten und Pflegepersonal von Anfang an genauso erfahren lassen, man habe die besten Führungskräfte, die man habe, und vertraue ihnen, sie würden schon dafür sorgen, daß die Pfleger so handeln können, wie es für Patienten richtig ist, und daß die Pfleger durch keine unnötige Bürokratie von ihrer eigentlichen wertschöpfenden Arbeit abgehalten werden.
Zwischenbemerkung: Die Worte "erfahren lassen" sind mit voller Absicht gewählt im Gegensatz zu "wissen lassen". Denn entscheidend für die Weiterempfehlung sind nicht die Plakate in den Fluren "wir haben die besten Pfleger", auch nicht die zur Schau gestellte Freundlichkeit eines in Wirklichkeit gestreßten Pflegers, sondern das, was der Patient mit seinen Sinnen erlebt. Ob hinter der Tür jemand "zusammengeschissen wird", oder ob die Führungskräfte ihre Mitarbeiter tatsächlich unterstützen, ob der Mitarbeiter die Augen zum Himmel dreht, wenn sein Chef reinkommt, oder ihn locker anspricht. Je größer die Plakate, desto eher kommt es auf diese Kleinigkeiten an. Insbesondere in den Streßsituationen, wo alle Hände gebraucht werden und keiner mehr eine Hand frei hat, seine Maske vor seinem Gesicht festzuhalten.
5. In diesem Sinne werden die Führungskräfte, und zwar alle, die Pflegearbeit und das Echo der Patienten beobachten und die Qualität hoch halten, indem sie ihre Mitarbeiter unterstützen.
Ich denke da an den Wirt des Nobelrestaurants, der sich bei seinen Gästen erkundigt, ob sie auch rundum glücklich sind - und wer dann "ja" antwortet und sich so festgelegt hat, hat es später schwieriger, sich bei seinen Freunden zu beschweren. Und der Wirt wird aus der Mimik oder anderen nonverbalen Anzeichen des Gastes Indizien ziehen, wo das "Ja" eingeschränkt ist.
6. In dieserm Sinne werden Sie Ihre Aufgabe als *zentraler* Qualitätssicherer auf die zwischenmenschlichen Zusammenhänge im Krankenhaus anpassen wollen. Das heißt vertrauensstiftend und -bewahrend, und vor allem als Unterstützer der Pfleger und ihrer Führungskräfte. Wie können Sie diesen helfen, damit diese tun können, damit die Patienten unser Krankenhaus weiter empfehlen?
Das bedeutet Unauffälligkeit: Weniger Massenbefragungen als eher Stichproben.
Vielleicht brauchen Sie gar keine eigenen Handzettel, sondern die Ergebnisse der strukturierten Patientenbefragung nur anders auswerten. (Für diese Befragung, deren Wirkungen und Nebenwirkungen gelten ähnliche Zusammenhänge.)
Dies sind meine Gedanken. Denen realistische Ergebnisse Ihres Workshops vorzuziehen sind, denn eine Mannschaft setzt fremde 120\%ige Ideen bestenfalls mit 20\% Engagement um und stellt das Weiterdenken dann ein. Ihre eigene 80\%ige Idee aber setzt sie eher mit 300\% Engagement um, und kommt bald mit noch besseren Ideen. Deshalb sind die eigenen Ideen letztlich besser, auch wenn Unternehmensberater das berufsbedingt umgekehrt sehen.
Herbert, ich hatte etwas Spaß, diese Gedanken zu formulieren. Ich hoffe, Ihnen damit einen wirksamen Schritt weiter geholfen zu haben.
Ciao
Wolfgang Horn
was Sie gerade durchmachen, das beobachte ich in mehreren Krankenhäusern und in der Altenpflege.
Vermute ich richtig, daß nicht nur die Qualität der Pflegearbeit ausgewertet wird, sondern auch die Effizienz?
Und daß Ihre Aufgabe zusätzlich zur strukturierten Patientenbefragung eingerichtet wurde?
Wer immer auch die Idee mit dem zentralen Reklamationsmanagement hatte, er hat falsche Übertragungen vorgenommen und die Nebenwirkungen übersehen oder ignoriert.
Die falsche Übertragung: Patienten sind keine Motorblöcke.
Ihr Wohlgefühl, zumindest nach ihrer Genesung in ihrem Rückblick, hängt entscheidend ab vom Verhältnis zwischen ihnen und den Schwestern und Pflegern, die sie täglich betreuen.
Diese Abhängigkeit ist bei Motorblöcken noch nicht beobachtet worden.
Deshalb sind die Nebenwirkungen geringer, wenn an Motorblöcke Handzettel verteilt werden sollten, deren bloße Existenz dem Motorblock beweisen, in dieser Fertigung gibt es
1. Qualitätsprobleme, die so schwerwiegend sind, daß man die Mitwirkung der Motorblöcke braucht, um sie in den Griff zu bekommen.
2. Man mißtraut den Arbeitern am Fließband, denn würde man ihnen vertrauen, könnte man sie ja auch selbst fragen, wo es Ärger gibt oder Verbesserungspotential.
3. Man mißtraut den Führungskräften der Arbeiter, denn die sollten die Arbeit ja eigentlich beobachten und selber merken, ob da alles gut genug läuft. Denn würde man den Führungskräften vertrauen, bräuchte man die ja nur zu fragen, ob Motorblöcke vielleicht protestiert hätten oder andere Anzeichen gezeigt von Unwohlsein.
4. Die Arbeiter am Fließband sind sauer wegen der Kontrolle und behandeln mich, den Motorblock, deswegen nicht natürlich, sondern ständig mit Blick auf meinen Reklamationszettel.
Was wäre, wenn Sie bei Ihrem Lieblings-Friseur in der "Warteschleife" sitzen, da sind der Meister und seine Gesellen, und plötzlich kommt ein Fremder im schicken Anzug kurz vorbei und händigt Ihnen einen Handzettel aus, ob sie mit der Frisur auch wirklich zufrieden sind, und welche Reklamationen sie haben könnten.
Damit wird Ihnen bewiesen, beim Friseur wurde bereits mangelhafte Arbeit beobachtet, und die wolle man nun in den Griff bekommen. "Ja, natürlich", werden sie dann denken, "stimmt, beim letzten Mal mit dem einen Haarwirbel, das hätte er vielleicht wirklich besser machen können, und daß es manchmal so zwickt - stimmt, so gut ist der Friseur gar nicht, wie ich immer dachte." Und wie das nun geweckte Mißtrauen aus genügend Mücken genügend viele Elefanten gemacht hat, kommt die Frage: "Zu wem könnte ich denn noch gehen?"
In Dienstleistungen ist die Phantasie sehr wichtig, man könnte auch herzloser sagen, der Wunschgedanke oder die Illusion: "Mein Friseur ist der Beste, der wird's schon machen."
An die Stelle dieses für Friseur und Krankenhaus nützlichen Wunschgedankens Beweise zu setzen, der Friseur oder Pfleger müsse seiner Fehler wegen kontrolliert werden, das ist selbst ein kapitaler Fehler und beeinträchtigt die Qualität wohl mehr, als es sie steigern könnte.
Aus diesen zwischenmenschlichen Zusammenhängen heraus wage ich die Prognose, Reklamationsmanagement im Krankenhaus wird früher oder später als Modetorheit erkannt sein und wieder verschwinden.
Vielleicht irre ich mich ja auch, und Patienten lassen sich eben doch wie Motorblöcke behandeln.
Nun sitzen Sie, Herbert, aber in der dummen Situation, das Reklamationsmanagement zum Erfolg führen zu müssen.
Sie sitzen zwischen mehreren Mühlsteinen:
1. Ihr Chef, oder wer immer Ihnen den Auftrag gegeben hat, erwartet von Ihnen Erfolg. Und ja keine Kritik. Führungskräfte in unserem Lande der Dichter, Denker, Prinzipienreiter, Besserwisser und Bürokraten jedenfall machen prinzipiell keine Fehler, das könnte in der Schweiz ähnlich sein.
2. Die Pfleger und Ärzte "am Fließband" werden in Ihnen das Symbol des Mißtrauens gegen sich sehen. Dann läge es nahe, daß Sie zunächst immer auf Ablehnung stoßen, wo jemand, der als Unterstützer gesehen wird, Toleranz erlebt.
3. Die Führungskräfte werden Ihre Tätigkeit als Eingriff sehen in ihren Verantwortungsbereich. Auch von denen dürften Sie nur Ablehnung erwarten.
Der Pflegedienst ist im Konflikt - einerseits hat er die Krankenhausleitung zu unterstützen, andererseits hält er Ihre Aufgabe für falsch und lehnt sie ab und Sie daher auch.
Daher ist mit "subversiven" Maßnahmen gegen Sie zu rechnen. Verschleppungstaktik, Dienst nach Vorschrift, "Soldat Schweijk"-Verhalten, und wo Sie im Dschungel der geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze einen Fehler machen, wird man Sie anschwärzen wollen.
An und für sich haben Sie eine Aufgabe, die man keinem langjährigen Kollegen und Freund zumuten würde, sondern am besten einem Unternehmensberater, der sowieso bald wieder weg ist, und der für seinen Streß auch gut bezahlt wird.
Trotzdem müssen Sie Erfolg haben.
Aufgrund dieser Umstände vermute ich, Herbert, Sie sind noch recht jung im Geschäft. Dann ist wohl der richtige Zeitpunkt, die Frage nach dem "wahren Ziel" zu stellen. Was will Ihr Chef (oder dessen) mehr als alles andere in dieser Sache? Zufriedene Patienten? Diejenige Person des Krankenhausträgers besänftigen, die ihn immer gemahnt hat: "Sie müssen ein Reklamationsmanagement einführen!"? Munition für den Kampf gegen die Pfleger und Ärtze wegen deren Schlamperei? Will er nur schlicht weniger Erstreklamationen? Wer ist ihm wichtiger - die Patienten oder die einweisenden Ärzte? Oder die Weiterempfehlung des Krankenhauses durch Patienten oder Ärzte?
Ich empfehle ihnen, im Rahmen der wörtlichen Weisungen dies "wahre Ziel" als Hauptziel anzustreben. Es sei denn, er korrigiert sie.
Ich greife mit willkürlich die Alternative heraus, der Krankenhausträger habe sich von einem Unternehmensberater beraten lassen, und der hat die Einführung eines Reklamemanagements empfohlen, weil das bei der Motorblockfabrik auch so gut funktioniert hat.
Wäre meine Vermutung falsch, sind alle folgenden Worte Makulatur. Aber ohne Vermutung könnte ich gar keinen Lösungsanstz anbieten.
Die Übertragung des Reklamationsmanagements von Motorblöcken und den zugehörigen ewigmäkelnden Großkunden auf Patienten ist nach obigen zwischenmenschlichen Zusammenhängen schädlich für das Geschäft und daher falsch.
Nicht alles, was die Produktivität in der Fertigung von Motorblöcken steigert, funktioniert auch im Krankenhaus.
Herbert, in dieser Situation sehe ich zwei Lösungswege für Sie.
Zuerst aber, was Sie auf gar keinen Fall tun dürfen: Illoyalität oder gar Rebellion. Wahrscheinlich haben obige zwischenmenschliche Zusammenhänge Ihren "gesunden Menschenverstand" und Ihre Skrupel bestätigt, und zu Recht könnten Sie sauer sein auf Ihren Chef, daß er Ihnen diese Aufgabe gegeben hat. Aber deswegen dürfen Sie nicht aus der Rolle fallen.
Sie streben ja gewiß ein fernes, persönliches Ziel an, und dazu brauchen Sie einen guten Ruf. Insbesondere bei Ihren zukünftigen Chefs. Sie müssen denen schon jetzt zeigen, Sie sind ein guter, braver Mitarbeiter, der seinen Chef unterstützt und dessen Vertrauen verdient hat. Der deswegen kein Jasager oder gar Kapo ist, sondern der auch im Geiste des Alten Fritz handelt, der mal sagte: "Ich habe ihn zum General gemacht, damit er weiß, wann er mir zu widersprechen hat."
Vor diesem Hintergrund sehe ich nun zwei Strategien:
1. Strategie "edler, loyaler, braver Ritter": Sie boxen sich durch, spielen den "edlen Ritter im Namen seines Fürsten" und empfehlen sich so auch für ähnliche Aufgaben. (Ja, in den Betrieben sehe ich den Feudalismus vorherrschend, und dann darf man ihn nicht ablehnen, sondern muß ihn so nehmen, wie er ist, und das Beste draus machen.)
Ihr Chef hat Ihnen einen Auftrag gegeben, Sie planen die zwischenmenschlichen Zusammenhänge ein, wie Sie den Widerstand überwinden könnten, und fordern alle Ressourcen von ihm, die Sie brauchen für Ihren Erfolg. Das heißt, Sie "walzen die Widerstände" hinweg. Wer Widerstand leistet, wird mit Gesichtsverlust und Weiterbildungsseminar bestraft. ("Ihnen mangelt es an Toleranz. Gehen Sie zu einem Toleranzseminar!" .) Möglicherweise wird Ihr Chef nach dem Aufzeigen der zwischenmenschlichen Zusammenhänge um etwas Bedenkzeit bitten, die Maßnahme verschleppen oder unter selben Namen einen anderen Inhalt geben wollen.
Pflegepersonal und Ärzte werden Ihnen dann bald einen Ruf geben, der es Ihnen schwermacht, Vertrauen und Miteinander zu gewinnen, der es der Klinikleitung aber leicht macht, Sie mit Kontrollaufgaben zu betrauen.
2. Strategie "kluger, loyaler, weitblickender und mitdenkender Mitarbeiter, der nicht nur bloß tut, was ihm gesagt wurde, sondern dabei auch die höheren Ziele seines Chefs im Auge hat." Sie betrachten die Nebenwirkungen infolge der zwischenmenschlichen Zusammenhänge und stellen heraus, Ihre Chefs wurden wohl falsch beraten. Sie suchen den Sündenbock außerhalb des Krankenhauses. Vielleicht in Person des Unternehmensberaters, der erst die Motorblockfabrik beraten hat und die Erfolgsrezepte von dort einfach auch auf Krankenhäuser übertrug. Vielleicht haben Sie Glück, und dieser Unternehmensberater war gar nicht von der Krankenhausleitung beauftragt, sondern vom Krankenhausträger - dann hätten Sie sogar Chancen, zum Helden aller Pfleger, Ärzte und Klinikleitung zu werden. (Was aber auch seine Nebenwirkungen hat - mancher Held freut sich, wie man ihn auf Händen trägt, bis er merkt, daß man ihn, den David, zu Goliath getragen hat und er nun eine Hauptrolle spielt im alles entscheidenden Zweikampf.)
Nachdem Sie auf den Sündenbock gezeigt haben, handeln Sie nun im Miteinander: "Neue Erkenntnisse, neue Situation, was können wir denn alle miteinander tun, damit die Interessen des Krankenhausträgers erfüllt werden?" Tragen Sie erst mal diese Frage sicht- und hörbar mit sich herum, sammeln Sie Antworten, und wenn viele schon selber nachgedacht haben, dann könnte ein Workshop mit Vertretern aller Gruppen nützlich sein.
Und dazu gehört sicherlich, daß Ihr Krankenhaus überdurchschnittliche Ergebnisse bringt. Was nur funktionieren kann, wenn Ihre Patienten gut über Sie sprechen: "Da hat es mir gefallen, gehen sie mal auch dorthin".
Für den Fall 2 brauchen Sie ein besseres Konzept.
Nach obigen Zusammenhängen sollte dies:
1. Die Weiterempfehlung der Patienten für wichtiger nehmen als alles andere - bis auf Zukunft und Wachstum des Krankenhauses und all seiner Arbeitsplätze. Die Weiterempfehlung kann eher die Empfehlung sein: "Das Krankenhaus ist zwar kein 5-Sterne-Hotel, und die Schwestern stammen auch nicht alle aus dem Playboy, und wenn sie Streß haben, dann sind sie auch mal kurz angebunden, kann man ja verstehen. Aber tüchtig sind sie. Da ist man gut aufgehoben." Ihr "Marketing" wird schon herausgefunden haben, welche Art von Weiterempfehlung für Ihr Krankenhaus die richtige ist. (Sofern Ihr Marketing nicht von dem Unternehmensberater vorgegeben wurde, der gerade von der Motorblockfabrik kam.)
2. Die positive Grundeinstellung der Patienten (oder eben der Wunschgedanke: "Hier bin ich im besten Krankenhaus bei den besten Ärzten und Schwestern, und die arbeiten gern und gut miteinander zusammen") von Anfang an bestärken - und folglich *alles* unterlassen, was diese Grundeinstellung gefährden könnte - wobei Unaufrichtigkeit höchst schädlich sein kann.
3. In diesem Sinne die Patienten erfahren lassen, dem Pflegepersonal werde vertraut, man habe das beste Personal, das man habe, und die täten schon, was sie auch erwarten würden, wenn sie selbst Patienten wären.
4. Patienten und Pflegepersonal von Anfang an genauso erfahren lassen, man habe die besten Führungskräfte, die man habe, und vertraue ihnen, sie würden schon dafür sorgen, daß die Pfleger so handeln können, wie es für Patienten richtig ist, und daß die Pfleger durch keine unnötige Bürokratie von ihrer eigentlichen wertschöpfenden Arbeit abgehalten werden.
Zwischenbemerkung: Die Worte "erfahren lassen" sind mit voller Absicht gewählt im Gegensatz zu "wissen lassen". Denn entscheidend für die Weiterempfehlung sind nicht die Plakate in den Fluren "wir haben die besten Pfleger", auch nicht die zur Schau gestellte Freundlichkeit eines in Wirklichkeit gestreßten Pflegers, sondern das, was der Patient mit seinen Sinnen erlebt. Ob hinter der Tür jemand "zusammengeschissen wird", oder ob die Führungskräfte ihre Mitarbeiter tatsächlich unterstützen, ob der Mitarbeiter die Augen zum Himmel dreht, wenn sein Chef reinkommt, oder ihn locker anspricht. Je größer die Plakate, desto eher kommt es auf diese Kleinigkeiten an. Insbesondere in den Streßsituationen, wo alle Hände gebraucht werden und keiner mehr eine Hand frei hat, seine Maske vor seinem Gesicht festzuhalten.
5. In diesem Sinne werden die Führungskräfte, und zwar alle, die Pflegearbeit und das Echo der Patienten beobachten und die Qualität hoch halten, indem sie ihre Mitarbeiter unterstützen.
Ich denke da an den Wirt des Nobelrestaurants, der sich bei seinen Gästen erkundigt, ob sie auch rundum glücklich sind - und wer dann "ja" antwortet und sich so festgelegt hat, hat es später schwieriger, sich bei seinen Freunden zu beschweren. Und der Wirt wird aus der Mimik oder anderen nonverbalen Anzeichen des Gastes Indizien ziehen, wo das "Ja" eingeschränkt ist.
6. In dieserm Sinne werden Sie Ihre Aufgabe als *zentraler* Qualitätssicherer auf die zwischenmenschlichen Zusammenhänge im Krankenhaus anpassen wollen. Das heißt vertrauensstiftend und -bewahrend, und vor allem als Unterstützer der Pfleger und ihrer Führungskräfte. Wie können Sie diesen helfen, damit diese tun können, damit die Patienten unser Krankenhaus weiter empfehlen?
Das bedeutet Unauffälligkeit: Weniger Massenbefragungen als eher Stichproben.
Vielleicht brauchen Sie gar keine eigenen Handzettel, sondern die Ergebnisse der strukturierten Patientenbefragung nur anders auswerten. (Für diese Befragung, deren Wirkungen und Nebenwirkungen gelten ähnliche Zusammenhänge.)
Dies sind meine Gedanken. Denen realistische Ergebnisse Ihres Workshops vorzuziehen sind, denn eine Mannschaft setzt fremde 120\%ige Ideen bestenfalls mit 20\% Engagement um und stellt das Weiterdenken dann ein. Ihre eigene 80\%ige Idee aber setzt sie eher mit 300\% Engagement um, und kommt bald mit noch besseren Ideen. Deshalb sind die eigenen Ideen letztlich besser, auch wenn Unternehmensberater das berufsbedingt umgekehrt sehen.
Herbert, ich hatte etwas Spaß, diese Gedanken zu formulieren. Ich hoffe, Ihnen damit einen wirksamen Schritt weiter geholfen zu haben.
Ciao
Wolfgang Horn
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